Leben Pur – Beziehung, Liebe und Sex in der heutigen Gesellschaft

Oktober 26, 2009

Kapitel 1 – Zwiebeln schneiden – Chancen erkennen und nutzen

Filed under: Intro — hackreb @ 11:45 pm

Ich schneide Zwiebeln. Das ist an sich keine besonders erwähnenswerte Tatsache – höchstens die Häufigkeit meines Zwiebel Schneidens wäre eventuell etwas Besonderes. Ich schneide nämlich recht häufig Zwiebeln. Dies liegt zum einen daran, dass ich unheimlich gerne Pasta esse und zum anderen daran, dass Zwiebeln einfach lecker sind. Man kann sie zu nahezu jeder Mahlzeit nutzen und sie bleiben auch nach 2 Monaten im Schrank noch haltbar.

Beim Thema haltbar kommt dann nun doch auch die Verbindung zwischen meiner Person und dem Hintergrund des Zwiebel Schneidens ans Tageslicht: Ich werde immer älter und ich kann es nicht aufhalten. Neulich dann beim Pasta kochen macht es plötzlich „Klick“ im Kopf und man beginnt darüber nachzudenken, was im Leben eigentlich wichtig ist und was man eher lassen sollte. Blicken wir dafür eben auf meine letzten 10 Jahre zurück:

Ich war Student. Ein ganz normaler Student. Kein Langzeitstudent, kein Partystudent, kein Streberstudent, sondern ein ganz normaler Student. 8 Semester Standardstudium der Medieninformatik an einer Fachhochschule (okay, es waren 9 Semester – das 8. Semester habe ich als Party-/Urlaub-/Was-auch-immer-Semester gewählt) und ich habe einen recht guten Abschluss hinbekommen.

Mein Leben als Student war aufregend. Ich habe viel gelernt, es gab einige stressige Zeiten, aber es gab auch viele Momente die ich im Nachhinein auf keinen Fall missen möchte. So wohnte ich in einer wunderbaren WG, habe jede Menge Studentenparties erlebt und war schon ein wenig ein Unikat neben all den strebsamen Informatikstudenten in meinem Studiengang. Es ist übrigens kein Vorurteil, dass die meisten Informatikstudenten eine Brille tragen – ich hab auch eine, trage sie aber nie. Bin da wohl zu eitel für. Wer mich dennoch mit Brille sehen will, darf dies gerne auf der Autobahn machen, da trage ich sie nämlich – wenn ich sie gerade finde.

Irgendwann war jedenfalls die Studentenzeit vorbei und man orientiert sich neu im Leben. Man verlässt die letzten 15 Jahre vorgegebene Zukunftsplanung und beginnt zum ersten Mal in seinem Leben auf eigenen Beinen zu stehen. Das ist es wohl, was Freiheit bedeutet. Man hat die Möglichkeit zu tun was man will – gleichwohl kommt mit Freiheit aber auch die Verpflichtung sich festzulegen, Risiken einzugehen und vielleicht zum ersten Mal im Leben komplett selbst zu entscheiden welchen Weg man eingehen möchte. Keine Eltern, keine Lehrer, keine Vorlesungen die den Weg vorgeben.

Da sitzt man also – fertig mit der vorgegebenen Lebensplanung und man hat keinen blassen Schimmer was man jetzt eigentlich tun soll. Ein Lehrer sagte mir eins „Mache niemals das, was Dir gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt gibt, sondern mache das was Dir Spaß macht. Nur dann, kannst Du voller Freude und Leidenschaft Deinen Lebensweg gehen“. Das war ein kluger Mann und ich habe auf ihn gehört.

Diesen Weg bin ich also gegangen und so habe ich mich nach dem Studium selbstständig gemacht und meine eigene kleine Firma gegründet. Ich gebe zu, ich hatte Angst vor dem was mich erwartet: Kein festes Einkommen, keine Arbeitslosenversicherung, keine Ahnung was die Zukunft bringt. Dennoch habe ich es durchgezogen und stehe heute auf eigenen Beinen. Vor allem aber bin ich eines: Ich bin glücklich.

Vor allem aber habe ich den Luxus diese Seiten zu schreiben.

Doch was ist mit all jenen, die sich anders entscheiden und sich in einen „sicheren Hafen“ (soweit man das in der heutigen Zeit noch sagen kann) retten?

Ganz plötzlich findet man sich wieder in einem Leben, dass man mehr oder weniger erfüllend findet, man versucht sich einen Alltag zu erschaffen und gleichzeitig „jeden Tag zu leben“.

Jeden Tag leben – wer kann das schon? Seien wir mal ehrlich: Wir alle möchten am liebsten jeden Tag genießen, als wäre es der Letzte – aber wer macht das schon? Wir quälen uns jeden Morgen aus dem Bett, gehen zur Arbeit und stellen am Freitagabend fest, dass schon viel zu schnell wieder Montag ist und die Woche aufs Neue beginnt. Die Kollegen nerven, der Chef ist ein Choleriker und man fühlt sich eigentlich nicht auf seine Potentiale herausgefordert. Irgendwann beginnt man dies zu akzeptieren, lebt sein Leben vor sich hin und ist vielleicht so etwas wie „zufrieden“. Eines ist man jedenfalls nicht: Glücklich. Die Jahre ziehen vorbei, eventuell heiratet man irgendwann, überlegt sich das eine oder andere Mal ob das die richtige Entscheidung war, bringt ein paar Kinder (im Durchschnitt 1,2) zur Welt und bevor man sich versieht erreicht man die erste Midlife-Crisis. Spätestens zu diesem Zeitpunkt kommen einem dann Gedanken in den Kopf wie „Scheisse, ich leb doch nur einmal“ oder man stellt sich selbst die Frage  „Soll es das gewesen sein?“. Je älter wir werden, desto schneller vergeht die Zeit – soviel zu Einstein und relativ – hat er schon irgendwie Recht gehabt der Mann. Jedenfalls lässt sich daraus ein Bedürfnis  der Menschen in der heutigen Gesellschaft herauskristallisieren:  Der Bedarf nach Entschleunigung

Ein Freund sagte mir einst, dass man Bill Gates neben sich blass erscheinen lassen könnte, würde man ein Mittel zur Entschleunigung erfinden. Doch wie genau soll so etwas aussehen? Was ist Entschleunigung überhaupt? Jeden Tag so intensiv wie möglich leben? Die Zeit so langsam vergehen lassen wie es nur überhaupt möglich ist? Das bringt uns zum Punkt Langeweile, denn wenn man mal ehrlich ist: die Zeit vergeht in der Regel dann langsam, wenn uns langweilig ist. Aber vergeht die Zeit nicht auch dann langsam, wenn man versucht die Dinge neu zu entdecken? Neue Eindrücke zu gewinnen?

Ich habe vor einiger Zeit einen  Film im Kino gesehen mit dem aufregenden Titel „der Ja-Sager“. Jim Carrey spielte eine seiner obligatorischen Komödien und ich hatte keine großen Erwartungen in den Film gesteckt. Allerdings wurde ich überrascht: Neben der eigentlich Komik des Films hatte der Streifen durchaus den einen oder anderen tiefsinnigen Gedanken in sich. Die Tatsache, einfach mal „ja“ zu sagen, wenn man sonst in der Regel immer immer immer „nein“ sagt.

Wir bekommen so die Chance neue Dinge zu entdecken. Wir können so aus dem Alltag herausbrechen und über den bestehenden Tellerrand hinausschauen.

In der Regel leben wir in einem engen gesellschaftlichen Umfeld und haben meist die gleichen Menschen um uns herum. Somit lernen wir meist nur einen engen Freundeskreis bzw. Bekanntenkreis kennen und verschließen uns automatisch vor dem Neuen. Warum also nicht einfach mal „Ja“ sagen? Klingt einfach – ist aber nicht so? Ich weiß das.

1996 kam ein Song der Hamburger HipHop-Combo „Fettes Brot“ auf dem Markt mit dem verheißungsvollen Titel „Jein“.  Der Song ist sicherlich jedem bekannt, der seinen HipHop-Horizont über den wirklich sehr schlechten deutschen Rap á la Aggro Berlin und Konsorten hinaus bewegt. Ich will jetzt aber nicht von dem Verfall der HipHop Musik in den letzten Jahren sprechen, sondern möchte auf den Song zurückkommen: Dieser Song heißt also „Jein“, was einer Mischung aus „Ja“ und „Nein“ entspricht. Gut, das war jetzt naheliegend, aber ich wollte es dennoch kurz ausführen.

Wenn wir nun also häufiger mal „ja“ sagen anstelle von „nein“ tun sich ungeahnte Möglichkeiten auf. Für all jene die sich nicht trauen „ja“ zu sagen, geht natürlich für den Anfang auch das o.g. „jein“ – sprich ein Kompromiss… ein Schritt in die andere Richtung einzuschlagen… ohne sich gleich völlig der Spontanität / dem Ungewissen hinzugeben.

Ich habe in meinem Leben sehr häufig „nein“ gesagt, aber es gab auch den einen oder anderen Moment in welchem ich „Ja“ gesagt habe. Ich möchte mal ein einfaches Beispiel nennen, in dem ich „ja“ sagte und wie sich durch diese Aussage (und dem damit verbundenen Handeln) ganz neue Wege aufgetan haben.

Mein Vater ist Arzt – und ein ziemlich guter noch dazu. Mein Leben lang hatte ich für mich eigentlich eingeplant, dass ich mal in seine Fußstapfen treten würde und seine Praxis übernähme. Dann aber hatte ich das große Glück an meinem 16. Geburtstag für 1 Jahr in die USA an eine High School zu gelangen. (Danke an dieser Stelle an meine Eltern, die mich zu diesem Zeitpunkt in dieser Entscheidung bekräftigt hatten). Mal davon abgesehen, dass man als 16-jähriger jetzt nicht unbedingt die große Sause in den Staaten reißen kann, habe ich in diesen 12 Monaten Erfahrungen gesammelt, die mich für mein Leben geprägt haben. Ich habe mich nicht in meinem grundlegenden Wesen verändert, aber ich habe meinen Horizont erweitert und habe somit die unbezahlbare Erfahrung gemacht die Dinge auf dieser Welt differenzierter zu betrachten. Doch dazu gleich mehr.

Die 12 Monate USA gingen vorüber und bald war ich wieder auf dem Rückweg nach good ol´ Germany. Mein Gastbruder, den ich mit nach Deutschland nahm, wollte an dem Tag unserer Rückkehr abends unbedingt das deutsche Bier (in den Augen der Amis neben dem Oktoberfest und Adolf Hitler das Häufigste, was sie von Deutschland wissen) probieren und so gingen wir in eine Kneipe. Ich hatte ehrlich gesagt keine große Lust darauf, da ich zum einen 18 Stunden Flug hinter mir hatte und zum anderen meine Freundin in den Staaten zurücklassen musste. Nun gut, ich dachte mir „Sei´s drum“ und ging mit ihm in dieses Irish Pub meiner Heimatstadt.

Kurzum – nachdem ich bereits 1 Jahr zuvor „ja“ sagte, tat ich es diesmal erneut.

Dort angekommen lernte ich jemanden kennen, der heute ein sehr enger Freund ist und seit nun mehr 13 Jahren an meiner Seite steht wie ein Fels in der Brandung. Durch ihn lernte ich einen weiteren sehr guten Freund kennen, mit dem ich knapp 2 Jahre später eine Internetcommunity gründen sollte. Heute bestimmen diese Freundschaften meine berufliche Existenz und 90% meiner Freizeitgestaltung.

Ich weiss zum aktuellen Zeitpunkt recht sicher, dass ich die beiden Jungs niemals kennengelernt hätte, hätte ich damals nicht „ja“ gesagt. Ich wäre auf einer anderen Schule geblieben, hätte meinen Abschluss ein Jahr früher gemacht und wäre heute vielleicht  ein erfolgreicher Arzt oder aber auch Schornsteinfeger.

Es ist ganz interessant sich mal die Zeit zu nehmen und über das bisherige Leben nachzudenken, vor allem aber über die Entscheidungspunkte seines Lebens. Welche Momente waren es, in denen man sich entscheiden musste seinen Weg zu gehen und was ist daraus geworden. Welche Alternativen hätte es damals gegeben und was wäre wohl geworden, wäre man einen anderen Weg gegangen? Sollte man bei dieser Retrospektive feststellen, dass einige Entscheidungen sich nicht so entwickelt haben, wie es geplant war, darf man nur nicht depressiv den Kopf in den Sand stecken. Solange jeder von uns lebt haben wir jeden Tag die Möglichkeit unser Leben zu ändern – oft schon in kleinsten Zügen – indem man einfach mal „ja“ sagt.

Doch neben den fantastischen Möglichkeiten, die sich jedem von uns durch ein einfaches „ja“ ergeben können, besteht ein sehr netter Nebeneffekt in den Erfahrungen, die wir dadurch sammeln können.

In meiner Heimat gibt es das Sprichwort „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht“ und da ist durchaus was Wahres dran. Wie soll man die Welt verstehen, wenn man sie nie erlebt hat?

Ich habe sehr gute Freunde in Köln, die an der dortigen Universität einen Studiengang belegen, den man kaum aussprechen kann: “RegionalWissenschaftenLateinamerika” (RWL). Ich habe nicht die geringste Ahnung ob die Jungs und Mädels mit diesem Studium jemals die große berufliche Karriere fahren werden, jedenfalls wünsche ich es ihnen. Eines ist aber sicher:

Diese Freunde haben in den paar Jahren Studium mehr unterschiedliche Kulturen, Denkweisen und Erfahrungen kennengelernt, als viele Menschen sie in ihrem ganzen Leben erfahren werden. Austauschstudenten aus Kolumbien, Auslandsaufenthalte in Costa Rica, Freundinnen aus Mexiko… da kamen Salsa, Guerilla und politische CIA-Einmischungen in ihrer Gesamtheit zusammen. So was ist unglaublich interessant und öffnet einem die Augen, was auf dieser Welt so alles los ist. Man führt extrem interessante Gespräche mit Menschen vom anderen Ende der Welt und merkt plötzlich, dass wir einander gar nicht so unterschiedlich sind. Da findet man plötzlich heraus, dass nicht jeder Moslem ein potentieller Terrorist ist, man erfährt von dem chinesischen Student, dass viele seiner Landeskollegen ganz und gar nicht kommunistisch denken und es gibt durchaus sehr viele Kolumbianer, die nichts mit Drogenanbau zu tun haben.

Wenn ich da an die Jungs und Mädels aus dem Nachbardorf denke, die in ihrem Leben nie mehr als den Bodensee sehen werden (ich mag den Bodensee, bitte nicht falsch verstehen), kommt in mir fast ein wenig Mitleid auf. Ich halte es für unglaublich wichtig über den Tellerrand hinaus zu schauen und andere Kulturen und Denkweisen kennenzulernen. Nur so haben wir die Möglichkeit die Welt in ihrer Gesamtheit zu verstehen und auch Verständnis gegenüber anderen Menschen aufzubringen.

Wenn man also die Fähigkeit besitzt für andere Ansichten offen zu sein und die Vielschichtigkeit vieler Probleme unserer Welt zu erkennen bereit ist, ändert man zwar nicht unbedingt seine Meinung – man baut aber ein gewisses Verständnis für das Handeln anderer auf. Das ist es was Toleranz bedeutet – nicht alles akzeptieren, aber alle Sichtweisen verstehen.

Ich appelliere daher an jeden Menschen da draußen einfach mal „ja“ zu sagen und etwas Neues auszuprobieren – jede Möglichkeit wahrzunehmen neue Länder, neue Kulturen und vor allem neue Menschen kennenzulernen.

Unsere Gesellschaft hat die seltsame Eigenschaft immer Angst vor dem Unbekannten zu haben. Sie sollte endlich kapieren, dass das Unbekannte nicht nur Gefahren, sondern vor allem Bereicherungen mit sich bringt. Man muss sicherlich nicht alles gut heißen, was in dieser unserer Welt geschieht, aber man sollte sich zumindest damit objektiv auseinander setzen und nicht auf vorgesetzten Vorurteilen herumreiten.

Und was die Sache mit den Entscheidungen angeht – ist eine Entscheidung nicht immer so falsch wie die Chancen die wir glauben verpasst zu haben?

Open your mind.

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